Aus der ersten Predigt:
I
«Diese Worte», sagt Jesus, und meint damit zuerst einmal die grosse Rede, die er seinen Jüngern gehalten hat vor der Menge der Menschen, die aus Galiläa und Jerusalem und Judäa, aber auch aus nichtjüdischen Gebieten zu ihm geströmt waren, die sogenannte Bergpredigt. Kein Mensch hat je sonst eine Rede gehalten, die derart strahlend, vielschichtig, präzis und überreich ist wie diese Predigt. Mit ihr hat Jesus die Welt so tiefgreifend verändert wie nie jemand sonst.
Diese seine Worte können wir hören, sagt Jesus, und sie dann auch tun – oder sie nicht tun. Dieses Tun aber, warnt er, ist etwas anderes als das, was wir im ersten Moment meinen! Jesus sagt das ganz klar: Er vergleicht die Menschen, die seine Worte tun, mit einem Menschen, der ein Haus baut. Und die Menschen, die seine Worte nicht tun, vergleicht er ebenso mit einem Menschen, der ein Haus baut. Alle, die seine Worte hören, werden tätig! Und von aussen gesehen tun sie alle dasselbe. Alle bauen ein Haus! Erst wenn ein ungewöhnlich langer Regen den Boden aufweicht oder wenn aussergewöhnlich heftige Sturmwinde an dem Gebäude rütteln, zeigt sich der Unterschied: Die einen haben auf Fels, die andern auf Sand gebaut. Was die Menschen von Jesus motiviert aufbauen, bleibt bestehen – wenn sie sich die Mühe gemacht und es in einem festen Fundament verankert haben. Oder es fällt in sich zusammen – wenn sie allzu schnell ans Werk gegangen sind und Fassaden hochgezogen haben auf einem Fundament, das nur für durchschnittlich freundliche Wetterverhältnisse geeignet ist.
So hat Jesus seine Zuhörer gewarnt: Das wunderbar Gute, das er seine Jünger lehrt, ist etwas anderes als das, was psychologische oder wirtschaftswissenschaftliche oder politologische oder andere Ratgeber uns lehren, wenn sie sagen: Das müsst ihr tun. Was Jesus sagt, erfüllt die Menschen mit Hoffnung und ermutigt sie, so dass sie auf jeden Fall tätig werden und etwas aufbauen möchten. Ein Blick auf die Weltkarte bestätigt das: Wo Menschen von Jesus gehört haben, fühlen sie sich ermächtigt und haben sich mit hohen Ansprüchen ans Werk gemacht. Die ganze Welt wollten sie verändern. Die Frage ist: Auf welchen Grundlagen? Auf Fels? Oder auf Sand?
…
VIII
Damit kommt diese Predigt zum Schluss, zum Anlass für unser Zusammensein. Als Kaiser Konstantin vor gut 1700 Jahren beschloss, er wolle seine Weltmacht lieber nicht gegen die Christen, sondern mit ihnen stabilisieren, waren etwa fünf oder zehn Prozent aller Bewohner seines Reiches getauft. Diese kleine Minderheit war stärker als die Masse der vielen, die nicht wussten, auf wen sie hören und wozu sie leben sollten. Auch heute sind keine Massen gefordert. Sondern wenige, die umsichtig, mit Geduld und Sorgfalt ihren Glauben so verankern, dass er Bestand hat, auch wenn die Stürme des Lebens an ihm rütteln.
Vor vielen hundert Jahren ist das so unter Kaiser Konstantin geschehen. Kann – und soll etwas Ähnliches auch heute vieles zum Guten wenden? Können und sollen die Kirchen und Religionsgemeinschaften heute dazu beitragen, dass die Spaltungen in unserem Land nicht immer noch zunehmen, sondern überwunden und vielleicht sogar geheilt werden?
Aus der zweiten Predigt:
VII
Geschätzter Herr Vizepräsident!
Sie haben die Hillbilly-Elegie geschrieben, ein herzergreifendes Buch über ihre Leute im Rustbelt. In diesem Buch legen Sie etwas dar von dem, was Jesus hier sagt. Sie erzählen von Hilfsprogrammen, die mehr schadeten als halfen, und von ihrer Grossmutter Mawaw, die in ihrer Bibel las und oft gar nicht barmherzig, sondern knallhart war. Gerade sie hat unsentimental dafür gesorgt, dass Ihnen geholfen wurde.
So ist es, sagt Jesus. Oft sind diejenigen, die der barmherzigen Liebe dienen, sich gar nicht bewusst, dass sie das tun. Und umgekehrt kann der Eifer für scheinbar hilfreiche Massnahmen das Gegenteil bewirken von dem, was er bewirken möchte. Denken wir nur an das, was vor vierzig Jahren geschah: Der damalige Präsident der Vereinigten Staaten wollte aufrüsten und sah sich mit einer Masse von friedensbewegten Menschen konfrontiert. Am Ende aber war es nicht der Eifer für die Liebe, sondern es waren die neu stationierten Waffen, die Millionen von Menschen von einer unbarmherzigen Diktatur zu befreien halfen. Aber auch umgekehrt: Viele Ratgeber aus unserem Land wollten dann die Menschen in Russland beglücken mit einem rasch wachsenden Wohlstand und haben selbstsicher wirtschaftliche Reformen forciert – mit dem Erfolg, dass jetzt wieder unschuldige Menschen halb nackt in russischen Gefangenenlagern hungern.
Aus dem Nachwort:
Anders als Bischöfin Budde das in ihrer Predigt voreilig behauptete, darf ein Gebet für die Einheit der Nation also nicht nur dann damit rechnen, dass es erhört wird, wenn es verbunden ist mit dem entsprechenden eigenen Tun. Im Gegenteil: Jedes Gebet in Jesu Namen darf sich gar nicht auf die Bitte um die Einheit der Nation konzentrieren. Sondern es muss zuerst das Reich Gottes suchen und die Gerechtigkeit, die im Himmel ist. «Dann wird euch alles zufallen», versichert Jesus seinen Jüngern (Matthäus 6,33). Auch die nationale Einheit ist kein höchstes Gut. Sondern sie ist im besten Fall eine Frucht dessen, was Gott den Nachfolgern Jesu zuteilwerden lässt.
Es ist offensichtlich: Gerade die Abkehr von einer Priorisierung der politisch-zeitlichen Anliegen kann sich wohltuend auswirken auf den sozialen Zusammenhalt! Wo sich das Gebet über alles Zeitliche erhebt, werden die Anforderungen an die Mitmenschen realistischer und geduldiger. Wenn die politischen Ziele nicht ideologisch überhöht werden, lassen sich eher Kompromisse finden – Kompromisse, die nicht faul sind, weil sie sich nicht der Bequemlichkeit verdanken, sondern der Liebe. Solche Kompromisse zersetzen den Willen zum ganzherzigen Engagement nicht, sondern stärken ihn. Noch einfacher gesagt: Je mehr sich die Menschen von Gott erwarten, umso dankbarer sind sie für das wenige, das sie von den Menschen an Gutem empfangen, und umso leichter ist es, im Frieden mit den Mitmenschen zu leben.
Es ist also nicht so, wie es Bischöfin Budde voreilig in die Jesusworte hineinlas: Taten seien wichtiger als Worte. Es ist umgekehrt: Die Worte sind wichtiger! Die Worte, mit denen Jesus seine Nachfolger instruiert, befreien das menschliche Tun von allem, womit es sich überfordert und sich zu ungerechten Anklagen gegen seine Mitmenschen verleiten lässt.
Wie Jesus Christus hier und heute zu uns kommen will
Allen, die von Jesus Christus hörten, stellte sich je wieder die beunruhigende Frage: Dieser Jesus hat vor Jahrhunderten in Galiläa gelebt. Und er lebt jetzt bei Gott und übt so, aus dem Verborgenen heraus, seine Macht aus. Wie aber greift er hier und heute in unser Leben? Wie sorgt er dafür, dass uns alles zum Guten dient?
In allen Kirchen und Konfessionen geben die Theologen auf diese Frage die einfache Antwort: Das tut Christus durch den heiligen Geist, von dem er versprochen hat, dass er die Seinen leiten werde in alle Wahrheit (Johannes 14,26; 16,13). Doch das weckt sofort die nachfolgende Frage: Wie genau wirkt dieser heilige Geist?
In den Antworten auf diese Frage wurden verschiedene Momente in den Worten und Werken Christi verschieden akzentuiert. Daraus sind Lebensgewohnheiten erwachsen, die bis heute wegweisend sind für das, was Millionen von Christen in den unterschiedlichen Konfessionen von Christus erwarten, je wieder etwas anders.
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Jesus erleben…
Die evangelikalen Prediger, die bei Präsident Trump zu Gast waren, haben ein anderes Verständnis ihrer Mission. Sie sind überzeugt: In jeder gottesdienstlichen Zusammenkunft geht es zuerst und zuletzt darum, dass alle in ihrer persönlichen Beziehung zu Jesus ermutigt werden. Alle sollen erleben: Jesus lebt! Er ist hier unter uns am Werk! Alle will der heilige Geist ermächtigen, dass sie diese frohe Botschaft mit ihrem persönlichen Zeugnis weitertragen können!
Dazu ist es nicht nötig, sondern eher hinderlich, dass mit formaler Klarheit unterschieden wird zwischen den alten Worten aus den heiligen Schriften und Worten, mit denen Menschen hier und heute Zeugnis geben von dem, was sie persönlich mit Jesus erlebt haben. Denn jeder Mensch, der sich zu Gott bekehrt, macht grundsätzlich die eine und selbe Erfahrung, die schon für die Apostel wegweisend war: Jesus liebt mich!
Die evangelikalen Gäste von Präsident Trump sind durch und durch moderne Menschen. Sie erwarten nicht, dass ein Mensch sich einer formalen Autorität beugt und auf ein blosses Wort hin glauben soll. Sondern sie versprechen, dass jeder durch seine eigenen Erfahrungen die Wahrheit des Glaubens bestätigt findet und dadurch mündig wird und seinen vollberechtigten Anteil erhält an dem allgemeinen Priestertum aller Gläubigen.
… ohne akademische Bevormundung
Diese Prediger denken also in einem weit radikaleren Sinn demokratisch als die westlichen akademischen Eliten! Denn die akademisch geschulten Demokraten versprechen den Menschen das Recht auf Autonomie und Mündigkeit durch einen vorurteilslosen Gebrauch der Vernunft, wie das der Vordenker der Aufklärung, Immanuel Kant, getan hat. Doch die Fähigkeit zum logisch stimmigen Denken ist nicht allen Menschen in gleichem Mass gegeben. Sie hängt auch davon ab, ob eine Familie das nötige Geld für den Besuch einer möglichst angesehenen Universität hat. Immanuel Kant forderte das Recht auf Gedankenfreiheit deshalb nur für die akademische Elite. Die breite Mehrheit der Bevölkerung hingegen ermahnte er, sich von den Erkenntnissen der Gebildeten bevormunden zu lassen (und sich vor der «wohldisziplinierten» Armee des preussischen Königs in Acht zu nehmen). Vom allerersten Ursprung an schlummert in dem Anspruch auf Menschenwürde durch Aufklärung ein elitärer Dünkel: Eine Elite dünkt sich gebildet und nimmt deshalb – ohne sich das klarzumachen – für sich in Anspruch, dass sie weiss, was eine wahrhaft menschliche Würde ist, und dass sie deshalb auch moralisch höher steht und verantwortlich dafür ist, mit fürsorg-lichen Massnahmen sicherzustellen, dass diese Würde mit den dafür vorgesehenen Mitteln geschützt wird.
Dieser – meist unbewusste – Anspruch auf die rechte, höhere Erkenntnis empfinden andere als demütigend und kränkend. Er provoziert einen schleichenden Hass, der sich kumuliert und sich nun in einer oft vulgären Verachtung für die Akademiker eine Bahn zu brechen scheint.
Im Gegensatz dazu sind die evangelikalen Prediger überzeugt: Jeder Mensch kann vom heiligen Geist persönlich ergriffen werden, so dass er Jesus als seinen Herrn und Heiland erkennt und von ihm zu einem eigenständigen Urteil ermächtigt wird. Ja, gerade den einfachen Gemütern und insbesondere den Kindern steht der heilige Geist besonders nah. Darum wirken die evangelikalen Prediger für breite Schichten sympathisch: Sie trauen es tatsächlich allen Menschen zu, dass sie von Gott erleuchtet und mit einem gesunden Urteilsvermögen ausgestattet werden. Dazu genügt es, dass sich alle die Grunddogmen des Glaubens aneignen und nacherzählen können, wie Jesus in ihr Leben gekommen ist und es zum Guten verändert hat. Keine kirchlichen Würdenträger sind dazu nötig und keine Experten, die es besser wissen. Gott selber schenkt jedem Gläubigen die Erfahrung, die sein ganz persönliches Vertrauen auf Jesus erweckt.